Not solving problems - European policy compounds problems in Greece (German)

Nov 30th, 2012
Marc Walenta, November 2012

The outcomes of austerity policies in Greece are fatal. The population is becoming increasingly impoverished and the political system is losing its legitimacy. European measures have totally amplified the difficulties. However, the climate shifted in October. At first, experts assumed the so called 'Grexit' was likely but in the end the money lenders are now supporting the continuation of Greek membership of European monetary union. The value of the Euro has seen a steady increase especially in relation to the Dollar and Yen. This is a clear sign that currency speculators have trust in the Eurozone.

Verheerende Folgen - Die europäische Politik hat die Probleme in Griechenland verschärft

Die Folgen der Sparpolitik in Griechenland sind verheerend. Die Bevölkerung verarmt, das politische System verliert dramatisch an Zustimmung. Die europäischen «Hilfsmaßnahmen» haben die Probleme noch verschärft.

Dabei änderte sich im Oktober die Stimmung grundlegend. Schien vielen BeobachterInnen der «Grexit» – also der Austritt Griechenlands aus der Eurozone – vor nicht allzu langer Zeit schon fast beschlossene Sache, so sprechen sich die Geldgeber inzwischen für einen Verbleib Griechenlands in der Währungsunion aus. Der Euro erlebte eine kräftige Aufwertung gegenüber Dollar und Yen – ein deutliches Zeichen dafür, dass auch die WährungsspekulantInnen davon überzeugt sind, dass die Eurozone erhalten bleibt.

Woher kommt der Stimmungsumschwung? An guten Nachrichten aus Griechenland kann es nicht liegen, auch wenn der offizielle Bericht der Troika noch aussteht, weiß hinter Vorgehaltener Hand jeder, das Griechenland die meisten Ziele, die die Gläubiger gesteckt haben, verfehlen wird. Die Reformen gehen nur schleppend bis langsam voran und das dem Land und der aktuellen Regierung um PASOK, Nea Dimokratia und Dimar nun doch zwei weitere Jahre mehr Zeit zur Konsolidierung des Haushaltsdefizit gegeben werden soll, macht die Arbeit nicht unbedingt leichter, die Wirtschaftsleistung von 9 Prozent im vergangen Jahr auf drei Prozent bis 2014 zu senken. Dieses Zugeständnis ist eine politische Entscheidung. Es macht den Anschein, dass die Regierungschefs zu der Überzeugung gekommen sind, das es keine Alternative zur Rettung Griechenlands und somit des Euro gibt. Denn ein Ausschluss bzw. Austritt Griechenlands wäre der ‹worst case› für die EU und ein schwere Rückschlag für die europäische Integration.

Fakt ist, Griechenland muss geholfen werden und zwar richtig. Die Krisendebatte über Griechenland ist wieder an dem Punkt angekommen, an dem sie vor drei Jahren begann: der Staatsverschuldung [1]. Am Ende dieses Jahres werden die Staatsschulden rund 165 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreichen [2] – dies ist so viel, wie vor dem Schuldenschnitt im Frühjahr 2012. Die Strategie der Hilfskredite und Austeritätspolitik mit ihren Sparpaketen, welche vor allem von der deutschen Bundesregierung durchgedrückt wurde, sind gescheitert, zu mindestens wenn man glaubt, dass diese eingeführt wurden, um die griechische Wirtschaft gesunden zu lassen. Die durch die Troika oktroyierte Schuldenbremse stranguliert jede Wachstumsinitiative in Griechenland [3], die Wachstumsimpulse lassen jede sozialökologische Perspektive auf Nachhaltigkeit vermissen. Diese Beschlüsse und Einschnitte haben die Kürzungen von 150.000 Stellen im öffentlichen Sektor [4], drastische Lohn- und Rentenkürzungen [5], Kürzung des Mindestlohns [6], die Pleiten von kleinen und mittelständischen Unternehmen [7] zur Folge. Der Verlust von Einkommen und Arbeitsplätzen geht mit dem Verlust von entscheidenden sozialen und gewerkschaftlichen Rechten einher. Es wurden hunderte von Rechtsvorschriften und Gesetze arbeitsrechtlicher Institutionen abgeschafft bzw. geändert, wie zum Beispiel: die Einschränkung, die Abschaffung von Tarifverträgen, die Verhinderung freier Tarifverhandlungen, eine gesetzliche Einführung von Gehältern unterhalb des Mindestlohns, die Schwelle für Massenentlassung wurde aufgehoben und Abfindungszahlungen sowie Kündigungsschutzfristen gekürzt, Branchentarifverträge können nun leichter missachtet werden. Weiterhin wurde den ArbeitnehmerInnen das Recht zum Anruf von Schlichtungs- und Vermittlungsinstanzen entzogen. Letztendlich kann man sagen, dass ein Teil der Strukturanpassungsprogramme in Griechenland bewusst die Machtbalance zwischen Arbeit und Kapital zu Gunsten des letzteren verändern sollen. Auf die gesamte Volkswirtschaft bezogen, bedeutet dies auch die beabsichtigte, und wohl leider auch erfolgreiche Senkung der Lohnquote am gesellschaftlichen Mehrprodukte.

Aus Protest gegen diese Sozialkürzungen gehen immer wieder Hunderttausende Griechinnen und Griechen auf die Straße. Das politische System als Ganzes scheint zunehmend seine Legitimität zu verlieren. Die Auswirkungen der Krise treffen nicht nur die griechische Bevölkerung, sondern auch die vielen MigrantInnen im Land besonders hart. In ganz Griechenland war es Mitte August 2012 zu zahlreichen Übergriffen mit rassistischem Hintergrund gekommen, aus diesem Grund gab es mehrere Proteste und Demonstration von linken und MigrantInnen gegen diese rassistischen Übergriffe. Das Land an der südöstlichen Außengrenze der EU ist seit längerem Anlaufpunkt für Migranten vor allem aus Asien und Afrika. In den vergangenen zehn Jahren haben mehr als eine Million Menschen dort Zuflucht gesucht. Trotz, oder wohl eher wegen: der beiden für Griechenland geschnürten Hilfspakete, ist kein Ausweg aus der Krise in Sicht. Nichts verdeutlicht die gegenwärtige Situation besser und das Scheitern des „Rettungskonzepts“ als einfache Zahlen. Es wurden bisher fast 150 Milliarden der versprochenen 240 Milliarden Euro der Hilfsgeldtranchen ausgezahlt. Bewirkt hat dies nicht viel, außer dass sich die Hauptgläubiger, die deutschen und französischen Banken ihrer „giftigen“ griechischen Staatsschuldenpapiere entledigen konnten. Denn von den Geldern, die ja angeblich den Griechinnen und Griechen helfen sollen, kommt letztendlich nur ein kleiner Teil an. Der Großteil der Hilfskredite (70 Prozent) wird zu Finanzierung der Zinsen und Tilgung der fälligen Kredite genutzt [8]. Ganz davon abgesehen, das mit immer mehr Hilfsgeldern auch die Verbindlichkeiten des Landes immer weiter steigen. Doch wie soll eine Wiederbelebung der gelähmten Wirtschaft in Griechenland voran gehen und den davon betroffenen Menschen geholfen werden, wenn die Schuldenlast so erdrückend ist und keiner, weder Troika noch EU über einen Plan zur Gesundung des Landes verfügt?

Der erste Schuldenschnitt vom März hat gezeigt, wie es nicht geht. Die Last sollte nachhaltig auf einen tragbaren Summer reduziert werden, doch die erhoffte Erleichterung (die Staatsschulden sollten auf 107 Milliarden Euro zu sinken) trat nicht ein. Viele Fachleute plädieren für einen zweiten Schuldenschnitt, damit Griechenland unter der Last der Staatsschulden nicht erdrückt wird. Im Gegensatz zum ersten Schnitt, der die privaten Gläubiger, wie Banken, Versicherungen, Investoren und Kleinanleger traf (sie mussten auf 53,3 Prozent ihrer Forderungen verzichten), würde es diesmal vor allem die öffentlichen Gläubiger treffen, deren Forderungen sich auf 230 Milliarden Euro (75 Prozent der griechischen Staatsschulden) belaufen. Ein echter Schuldenschnitt wäre sicher ein notwendiger aber kein hinreichender Schritt. Denn selbst, wenn Griechenland vollkommen schuldenfrei wäre, würde immer noch ein entlegitimiertes politisches System, Rassismus in der Gesellschaft und auch eine nationale Wirtschaft, die nach wie vor dem Binnenmarkt der EU schutzlos ausgeliefert wäre, weiter bestehen. Eine grundlegende Entscheidung ist also nur ein erster Schritt. Der Aufbau einer selbsttragenden Ökonomie ist daher die wichtigste Aufgabe der Zukunft. Die Krise in Griechenland ist mittlerweile so erdrückend, dass selbst in konservativen Medien erkannt wird, dass es ein einfaches Zurück zu der Vorkrisenzeit nicht geben kann. Zu grundlegend sind die Probleme.

Als Beispiel dafür möchte ich ein Zitat der griechischen Kolumnistin Zeza Zikou in der konservativen Tageszeitung Kathimerini zitieren. Sie analysiert, das die Ursache der griechischen Wirtschaftskrise in der Identitätskrise Europas liegt: «Es ist eine Identitätskrise, eine Bewusstseinskrise, eine Krise der repräsentativen Demokratie, eine Führungs- und Visionskrise, eine Krise, die sich aus dem Konflikt verschiedener Interessen ergibt. Die Nationalstaaten stehen im Konflikt mit den 'zentralen Planern' der aktuellen neoliberalen Welt Brüssels und des Internationalen Währungsfonds ebenso mit dem Finanzkapital, das globalisiert, aggressiv und hemmungslos agiert. Die Staatenlenker haben sich dabei als viel schwächer erwiesen: ohne Philosophie, ohne Respekt vor der Geschichte, ohne Sensibilität. In ihrem Handeln sind sie ihren persönlichen Verpflichtungen und geistigen Stereotypen machtlos unterworfen. Diese Krise scheint auch ein Feldversuch für die Demokratie und die politische Kultur zu sein, nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa. Die erkennbare Disharmonie zwischen Gesellschaft und Politikern, das Legitimitätsdefizit, das Scheitern der Technokraten, die Krise der Repräsentation, das Aufkommen neuer aggressiver Nationalismen und der Ansturm der Hass-Stereotypen betreffen nicht mehr nur das schwache und mehrfach angeschlagene Griechenland, sondern ganz Europa.»

Das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel – möchte gemeinsam mit dem neuen Verbindungsbüro in Athen, unseren KollegInnen Ioanna Meitani und Eftychia Kotini und unseren griechischen Partnerorganisationen vor Ort bei der Arbeit im Rahmen der Griechenland-Sonderförderung zu verschiedenen thematischen Schwerpunkten rund um die dramatische Auswirkung der Krise in Griechenland sowohl analytisch als auch praktisch im Kampf gegen die aktuelle Politik unterstützen. Dabei konzentrieren wir uns auf Veranstaltungen zu folgenden Themen: Die Krise und linke Lösungsansätze, Neo- Faschismus in Griechenland und Deutschland, Armut und Reichtum, die Situation von MigrantInnen, und die gesellschaftlichen Auswirkungen von Privatisierungen. Bei all unseren Projekten legen wir vor allem Wert darauf, dass sich linke Akteure kennen lernen, in Gesprächen miteinander austauschen und sich auf dieses Weise ein Netzwerk zwischen den Akteuren geschaffen wird.

Marc Walenta ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro Brüssel der Rosa Luxemburg Stiftung. Eine Kurzfassung dieses Beitrags ist in der Ausgabe 4-2012 des Journals Rosalux erschienen.

Endnotes:


[1] Der Staatshaushalt Griechenlands weist nach wie vor ein strukturelles krisenhaftes hohes jährliches Defizit (Nettoneuverschuldung) auf, er gibt also mittel- oder langfristig deutlich mehr aus als er einnimmt. Das griechische Haushaltsdefizit überschreitet seit vielen Jahren deutlich den in den EU-Konvergenzkriterien vereinbarten Grenzwert von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). (Griechenland befindet sich seit dem Jahr 2008 in einer Rezession und hat in dieser Zeit über 20 Prozent seiner Wirtschaftskraft verloren.) Am Ende des Jahres 2011 hatte Griechenland laut Eurostat einen Schuldenstand in Höhe von 170,6 Prozent des BIP - vor Italien (120,7 Prozent), Portugal (108,1 Prozent) und Irland (106,4 Prozent). Deutschland rangierte mit 80,5 Prozent auf Platz neun.

[2] Hochrechnungen der Ratingagentur Fitch zufolge wir die Schuldenquote 2013 bei 176,2 Prozent des BIP und 2014 sogar bei 180,2 Prozent liegen.

[3]Unter anderem setzt der Fiskalpakt zu einseitig auf Sparen. Es bedarf einer Wachstumsinitiative, mit Investitionen in Zukunftstechnologien sowie in Beschäftigung. Denn nur wenn sie Wachstum haben, werden Griechenland und andere Länder ihre Schulden bezahlen können.

[4] Sparrunde im Februar.

[5] Die gesamten Lohn- und Gehaltskosten sind seit 2009 um 25 Prozent gesunken, und in diesem Jahr gab es weitere Kürzungen von 7,6 Prozent gegenüber 2011 – Wegfall von Zulagen in Zusammenhang mit Arbeitsbedingungen, Qualifikationen und Dienstjahren.

[6] Um 32 Prozent auf 490 Euro.

[7] Die Binnennachfrage sank zwischen 2009 und 2011 um 16,4 Prozent.

[8] Ob die als Rettungsschirm bezeichneten Notkredite und Notbürgschaften den Krisenstaaten helfen können, ist umstritten und von weiteren Faktoren abhängig. Der Rettungsschirm alleine ermöglicht den stark verschuldeten Staaten nur, unter Umgehung des Kapitalmarkts und mit vergünstigten Bedingungen zusätzliche Verschuldung aufzunehmen bzw. zurückzuzahlende bestehende Verschuldungen erneut zu refinanzieren. Damit wird eine Insolvenz eines Staates zunächst nur aufgeschoben. Nach allgemeiner Auffassung kann der Rettungsschirm nur bei solchen Schuldenstaaten die Insolvenz vermeiden, bei denen die Zeit unter dem Rettungsschirm intensiv genutzt wird, um parallel die Ursachen der jeweiligen Staatsschuldenkrisen in dem betreffenden Staat zu beseitigen. Wenn dies nicht geschieht, wächst die krisenhafte Verschuldung eines Staates durch den Rettungsschirm sogar weiter an und die Situation verschlimmert sich.